Angedacht
Denn es ist kein Ansehen der Person vor Gott. Römer 2,11
Liebe Leserinnen und Leser! Vor Augen liegt die Oberfläche; so gestaltet, wie wir gesehen werden wollen. Damit wir nicht gemobbt werden, dazugehören, Anerkennung bekommen, möglichst sogar geliket werden. Im Profil kann ich verbergen, was ich nicht zeigen möchte. Andersherum ist es genauso: Ich bekomme dort auch nur Oberflächen zu sehen. Trotzdem wünscht sich eigentlich jeder, gehört und gesehen zu werden. Was aber ist mit Menschen, die nicht angesehen sind, die keine schöne Fassade aufbauen oder retuschieren können? Im Gesetz und in der Bibel heißt es „Kein Ansehen der Person“. Da vor Gott und dem Gesetz alle Menschen gleich sind, sollte vor Gott oder vor dem Richter die gesellschaftliche Stellung eines Menschen eigentlich keine Rolle spielen. Im Altgriechischen meint die Person jedoch auch das Gesicht oder die sichtbare Gestalt des Menschen. Und trotzdem geht mit jedem Ansehen, bewusst oder unbewusst, eine Zuordnung einher, die sich von einer Bewertung der Wahrnehmung nicht trennen lässt. Wer hinschaut und sieht, ordnet ein. Was liegt unter der Oberfläche? Was wird sichtbar, wenn man das Innere, vielleicht gar das Herz anschaut? Wenn einer mein Inneres, mein Herz anschaut, bin ich verletzlich. Ich hoffe dann auf ein freundliches, barmherziges Auge. Bin ich bereit, andere ebenfalls so anzusehen? Jesus Christus hat bewusst Gemeinschaft mit nicht makellosen Profilen gesucht. Sein Verhalten ist eine Anfrage an uns, wie wir Vernachlässigten oder Ausgegrenzten in der Schule, auf der Straße, im Beruf, in der Kirche begegnen. „Kein Ansehen der Person“ bedeutet, allen Menschen auf Augenhöhe zu begegnen. Auch wenn mich ihr Profil vielleicht zunächst sogar abschreckt. Es geht dabei um die Erfüllung des höchsten Gebots. Martin Luther schreibt in der Heidelberger Disputation: „Die Liebe Gottes findet nicht vor, sondern schafft sich, was sie liebt. Die Liebe des Menschen entsteht nur an dem, was sie liebenswert findet.“ Wenn du mit dem Herzen auf andere schaust, schaust du wie Gott: Mit Liebe, den anderen wertschätzend, unterstützend und wo nötig sogar verzeihend. Jedem mit Respekt zu begegnen, das erfordert Courage, Rückgrat und das Wissen, dass Gott mir auch so begegnet. Wie dankbar kann ich doch sein, dass Gott auch in meinem Falle nicht die Person ansieht, in Jesus Christus den Tod am Kreuz in Kauf genommen hat; mich annimmt ohne Vorbedingung, trotz allem, was in meinem Leben nicht makellos ist. Das entlastet nicht von der Verpflichtung, die Person nicht anzusehen, und Partei für Schwächere zu ergreifen. Aber das entlastet von Schuld, die jetzt schon zwischen mir und Gott oder mir und anderen Menschen steht und macht frei, im Sinne Gottes zu handeln. Mit den Wünschen für eine gesegnete Begleitung Gottes durch diese Passionszeit grüßt ganz herzlich, Michael Hüstebeck, Pfarrer
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